Auf dem Weg

Frankfurter Flughafen. 20. April 2011. 13 Uhr.

Tanja steht am Bahnsteig und winkt. Während ich sie betrachte spüre ich in meinem Herzen dem Wiederhall ihrer Worte nach, das wir nun gemeinsam die Reise machen werden. Sie hatte uns gewünscht, dass wir gesund zurück kommen. Die Türen schließen sich. Ich versuche den Blickkontakt mit ihr zu halten. Doch der Zug fährt ab. Hu, wie schnell er wegfährt! Die hohen, schlanken Gebäude rasen vorbei. Ich sehe im Spiegelbild der Fenster Menschen verschiedenen Alters und Aussehens auf ihren Sitzen sitzen oder sich an den Griffen festhalten. Die Blicke scheinen allesamt  in die Gedankenwelt hinein zu gehen. Jeder scheint für sich zu sein. „auf seiner Reise zu sich selbst ist jeder für sich.“ denke ich. Wie sinnbildlich, dass wir ausgerechnet in einem ZUG sitzen! Hm, alleine? Auf der Reise zu sich selbst? Jeder….? „Ah nein“ denke ich erleichtert „wir sind doch zu zweit! Wir sind doch nicht alleine! Wir sind zusammen unterwegs. Wir reisen zu zweit! Wir sind nicht alleine! Es ist eine gemeinsame Reise. Ein gemeinsamer Weg. Wir werden reisen! Nach Indien. Nicht irgendwo hin, sondern zu Sai Baba!  Ahhhh, wie schön sich das anfühlt! Sai Baba! Puttaparthi! Wir werden nach Puttaparthi reisen um dort in Sai Baba´s Ashram  zu wohnen! Wir werden seine Energie spüren, ihn vielleicht sogar sehen, vielleicht sogar mit ihm sprechen dürfen….oh wie schön sich das anfühlt! Mein Herz ist ganz warm. Ich spüre ihn in meinem Herzen. Er ist ganz nah….ahhh…wie schön! Ich fühle es, ganz deutlich.

Dann sehe ich, wie wir reisen, unterwegs sind und spüre, dass wir auch nach Kodaikanal gehen werden…..zu Sai Baba´s  Haus am See…ich höre plötzlich indische Klänge, Musik! Spüre die kühle Brise, die über den See streicht….sehe weiße und zartviolette Seerosen blühen….das Glitzern der Sonne im See…. Oh wie schön sich das dort am See anfühlt! Mein Herz ist nun ganz weit, ganz froh. Hoffnungsvoll blicke ich Guido an. Ich erschrecke. Der Blick ist Eis. Nicht wie gerade eben. Das ganze Wesen von ihm scheint verändert. Nichts mehr ist so, als Tanja noch dabei war. NICHTS. Ich kenne das schon und doch erschrecke ich. Eis.

Eine Millisekunde Blickkontakt. Hoffen, eine Brücke zu finden. Doch er schaut weg. Mein Herz setzt aus. Trotz aller Wärme in meinem Herzen ist mir plötzlich eiskalt geworden. Ich fühle es, klar und deutlich. Eis. Meine Hände zittern. Ich kann mich nicht mehr festhalten, verliere den Halt an der Stange, rutsche aus, stolpere, falle fast hin. Etwas rammt in mein Bauch. Ein Gegenstand aus dem Rucksack meines Vordermannes. Aua. Das tat weh.  Ich bin beschäftigt, mein Handgelenk wieder so hinzudrehen, wie es vorher war. Mein Bauch tut weh. „Ah je“ denke ich, auf den Boden blickend, die Tränen unterdrückend „4 Wochen. Das ist eine lange Zeit.“ Ich fühle die Zeit. Die Zeit eines Tages und einer Nacht in Stunden, in Minuten, in Sekunden. Es ist LANG. Am liebsten mag ich den Zug anhalten. Aussteigen. Jetzt sofort. Umdrehen. Doch eine leise Stimme in mir sagt: Nein, du wirst jetzt nicht weglaufen. Du hast die bewusste Entscheidung, dass Du Dir alles anschauen willst getroffen und den Mut besessen, die beiden Flüge zu buchen. Ich höre hin. Die Stimme ist nicht aufdringlich. Sie ist leise, aber ganz bestimmt. Sie klingt beständig, ruhig und ist ganz klar. Sie ist wie eine Quelle. Ich atme in diese Quelle und schöpfe aus ihr Kraft.

Ich werde also auch da hinschauen. Ob es mir weh tut, schmerzt, mich haltlos macht: Ich werde hinschauen. Auch wenn ich nichts ändern kann. Ich mache das alles nicht für jemand anderes, wie ich es gewohnt war. Ich mache das ab sofort für MICH. Ich werde es FÜR MICH tun. Die Reise. Sie ist nicht „nur“ eine Reise zu Sai Baba oder um zu begreifen, wie man Darshan´s gibt. Sie ist nicht „nur“ um zu begreifen, wie ein Darshan Ablauf gemacht wird, um all das Organisatorische zu verstehen, das Leben in einem Ashram zu leben, „das Licht anzuzünden“. Es ist auch eine Reise zu MIR. Ich schaue hin. Auch MICH gibt es. MICH, Sian. Nicht „nur“ als öffentliche Person, als Licht. Auch verletzlich. Ich schaue nicht weg. Ich schaue HIN. Für MICH. „Jeder ist im Grunde auf sich selbst gestellt.“ denke ich. Ja. SO ist das. GENAUSO. PUNKT. Wie sage ich immer? „Letztendlich hat man immer noch sich selbst.“ Wie wunderschön, das in DER Tiefe verstanden zu haben! In mir keimt Freude auf. Ein Abenteuer beginnt. Die Reise zu MIR SELBST hat bereits begonnen. Ich sitze im Zug. Jeah.