Fahrt zum Bahnhof

Der Taxifahrer hat´s nicht eilig. Er kommt sowieso nur im Schrittempo voran. Die Zeit verrinnt. Im Viertelstundentakt. Dabei ist´s zum Bahnhof gar nicht mal weit, also luftlinienmässig gesehen. So aus der Vogelperspektive heraus betrachtet. Doch das zählt nicht, wir sitzen ja im Taxi. Und das fährt eben auf der Strasse und nicht in der Luft. Hm, ob wir da wohl ankommen? Immerhin weiß ich jetzt, warum unser Hotelier am Nachmittag zuvor bereits telefonisch für uns auf 7.00 Uhr das Taxi bestellt hat. Er hat sicher auch eingeplant, dass er fast 1 St zu spät kommt….Tags zuvor hatte ich mich noch gefragt, warum denn so früh…? Der Zug, mit welchem wir fahren wollten fäht doch erst um halb elf…? Er sagte, dass man Ferntickets am Schalter 2 St vorher kaufen muss. Und dass man nie weiß, wie lange man zum Bahnhof brauchen würde. Hm, er hatte doch NOCH etwas gesagt, was war das bloß? Ich schließe die Augen um mich besser erinnern zu können. Ah, dass man lange anstehen muss sagte er noch. Ich mag zu Sai Baba fahren. Ich will wissen, ob wir den Zug nach Mysore oder in die andere Richtung nehmen…

Das, was ich jetzt gleich mache, ja das kann ich machen, aber… es hat auch Auswirkungen… egal…. ich beginne zu atmen… ganz tief in den Bauch…. ein… aus… eiiiiin… auuuuus…. der Herzschlag wird langsamer. Kontinuierlich langsamer- die Geräusche dröhnen, alles wird langsamer, wie in Zeitlupe…. es wird bunt, die Welt beginnt sich zu drehen…ich schwebe…. Nullpunkt. Ich bewege mich energetisch aus dem Taxi, halte den Kontakt nur über die Silberschnur. Sehe das Taxi. Von oben. Wo will der Fahrer hin…er kennt doch die Strecke…ich folge der Strasse…Wums-Schlagloch- ich sehe einen markanten Baum, wow, was für ein Baumfaun…er sieht mich….ich halte Blickkontakt …auch mit bestimmten Personen, mit einem Hund, er laüft ja sooo derart lustig….wir biegen ab…das Haus da an der Ecke, eine Frau mit einem weißem Kopftuch davor fegt, sie schaut mich fragend an…ihr Gedanke: „ich kenne diese Frau, ich habe sie gerade gesehen…“ autsch, was ist denn mit meinem Kopf…. Stände mit Taschen, mit Essen…das Taxi biegt in den Bahnhof. Busse, Taxi´s, wieder Stände mit Taschen…ich sehe sie mir an. Boah, nur 450 Rupie´s…eine Tasche für die Sari´s und Kurtha´s wäre praktisch…doch keine Zeit…weiter weiter…ich sehe, wir steigen aus dem Taxi…mein Kopf tut voll weh…ach jeh, so viele Taschen…jemand spricht uns an…nach Mysore? Wollt ihr nach Mysore? Mysore?

Viele Menschen, viele Gleise… eine Schlange… es geht nichts vorwärts…eine blonde Frau mit einem dünnen Rucksack…Mysore-Mysore…die Frau holt aus ihrem Rucksack – eine Wasserflasche heraus.. ist sie alleine unterwegs…? Sie hat einen Indienführer in der Hand… ah, das Pärchen…. sie stehen an einem Schalter….  reden… ich höre ihnen zu, niemand sieht mich, wie überaus praktisch.. ich stehe an einem Pfosten… bewache das Gepäck… und niemand – NIEMAND, auch Guido nicht, sieht mich, ich bin – UNSICHTBAR. Dann ein Ruck. Ich stosse mir den Kopf an der Decke des Taxi´s an. Versuche mich wo festhalten und stosse mir den rechten Arm. Mein Arm, mein Kopf tut weh. Autsch, was war das? „Nicht aufgepasst Sian? Da waren Löcher in der Strasse.“ Ich habe mir den Kopf angestossen, es tut voll weh. Löcher in der Strasse, der Fahrer scheint darüber zu schimpfen. Er hupt. So ein Mist, eine Schramme! Wird schon blau am Arm…“Pfoah, was für ein blöder Spruch…“Nicht aufgepasst Sian?““ Da ist er wieder, dieser fast überhebliche Unterton im Satz. Ich bin verletzt.  Ach, ich will mich jetzt nicht so aufregen.

Jedenfalls bin ich wieder ganz da jetzt. Ich denke, dass wir bestimmt den Zug verpassen, weil dass so lange dauert…Doch dann sehe ich den Baum. Der Faun schaut mich an. „Oh, den kenne ich!“ sage ich laut. Ah Mist, ist mir herausgerutscht. Wollt gar nichts sagen! He, warum habe ich meinen Mund nicht unter Kontrolle. „Ahso..?“ Dann läuft da dieser kleine Hund. Oh wie lustig ist das denn. Ich freue mich total, weil er so lustig läuft. „Gug´mal, wie lustig der Hund da lauft. Den hab ich schon mal gesehen.“ Mist, das war ja schon wieder laut. Der Hund schaut mich entgeistert an. Dann biegt der Fahrer in eine andere Strasse. Das Haus da an der Ecke! Die Frau steht davor- und fegt. Weißes Kopftuch. Sie schaut genauso überrascht wie der Hund.  „Oh, sie kenne ich auch, das alles habe ich schon gesehen!“ – „Ahso.“ sagt Guido. Er ist genervt. „Da, die Taschen! lass uns eine kaufen…“ jetzt halte ich mir aber den Mund zu. Denn fast hätte ich noch dazu gesagt: „kosten auch nur 450 Rupis!“ Aber ich will ja nicht als verrückt gelten. „Wir müssen weiter, wir können jetzt nicht anhalten Sian. „Klar, weiß ich…viele Taxi´s, viele Busse, viele Menschen…wir steigen aus dem Taxi. Ich hatte zuvor Taschen angeschaut…ob ich jetzt hingehe und deshalb eine kaufe? „Nein, wir haben keine Zeit.“ sagt Guido. Mist, hab ich schon wieder was laut gesagt? „Hat eben Auswirkungen Sian.“ sagt Dim-Hie-Trie und putzt sich die Nägel. Ein Mann kommt angelaufen. Er wird doch jetzt nicht sagen…doch, er sagt-“ Mysore. Ihr fahrt nach Mysore.“ Unfassbar. Guido schaut wissend. Das hat er also gerade gesagt. Weiß ich hätte ich fast gesagt. „Na, noch ein Zeichen bräuchte ich.“ Wir gehen in den Bahnhof.

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Was für eine lange Schlange…wer steht denn hier wo an? „Wohin jetzt?“ frägt Guido gereizt. Er ist angespannt. Ich bin ebenfalls gereizt. Mein Kopf tut weh. Ich kann nicht denken. „Mysore-Mysore.“ sagt monoton eine Stimme.


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